Der Bär war schuld
Man darf Lee Westwood, der seit 23 Jahren als Profi unermüdlich unterwegs ist, als echten Golf-Kosmopoliten beschreiben. Schließlich hat der frühere Weltranglistenerste seine sensationellen 42 Profisiege auf allen Kontinenten errungen. Ein Major-Titel hingegen fehlt noch in seiner beeindruckenden Sammlung. Mit seinen mittlerweile 43 Jahren gehört er zu den schon etwas älteren Profis auf der Tour – doch zuzutrauen, ist Lee Westwood noch so manches – durchaus auch ein Major-Erfolg!
- 15. August 2016
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Ganz in der Nähe des berühmten Sherwood Forest, wo sich der Sage nach Robin Hood mit seinen Gefolgsleuten versteckt hielt, wurde am 24. April 1973 in der englischen Kleinstadt Worksop Lee John Westwood geboren, als einziges Kind von Mathematiklehrer John Westwood und seiner Frau Trish, einer Podologin. Bereits in jungen Jahren war Lee sehr sportbegeistert und er liebte es, sich mit seinem Vater in verschiedenen Disziplinen zu messen, etwa im Tauchen, Armdrücken oder bei Geschicklichkeitsübungen. Von seinen Eltern wurde er dabei nie unter Druck gesetzt, aber wenn er gewann, gab es eine Belohnung. Schnell stellte sich heraus, dass Westwood eine echte Sportskanone war – in der Highschool spielte er Fußball, Rugby, Cricket und er absolvierte Geländeläufe. Golf hingegen hatte er nicht auf seiner Agenda, aber das sollte sich nachhaltig ändern, als er zehn Tage vor seinem 13. Geburtstag im Fernsehen Zeuge eines historischen Ereignisses wurde.
Erweckungserlebnis
Greg Norman aus Australien ging 1986 beim Masters mit einem Schlag in Führung liegend in die Finalrunde, doch es geschah das Unfassbare. Von T9 aus und einem Rückstand von vier Schlägen katapultierte sich der US-Amerikaner Jack Nicklaus – The Golden Bear – mit einer 65 an die Spitze des Feldes, gewann 23 Jahre nach seinem ersten Titel in Augusta sein bereits sechstes Green Jacket und den 18. Major-Titel insgesamt – im durchaus stattlichen Alter von 46 Jahren! Der jugendliche Lee Westwood war begeistert und wollte sich nun unbedingt auch in diesem Sport beweisen. Er begann wenig später mit einem halben Schlägerset, welches ihm seine Großeltern schenkten, im nahe gelegenen Worksop Golf Club zu spielen. Voller Enthusiasmus, unterstützt von der Mutter und angespornt von seinem Vater, der sich von der Begeisterung seines Sohnes anstecken ließ und ebenfalls zum Golfsport fand, trugen Lees intensive Trainingseinheiten rasch Früchte. Nur zwei Jahre später gewann er sein erstes Turnier und wurde 1988 Junior Champion von Nottinghamshire. 1990 folgte der Sieg bei der Peter McEvoy Trophy und nach seinem vierten Titel bei der British Youths Championship 1993 lag es auf der Hand, dass Westwood das Zeug zum Profi hatte. Im Alter von 20 Jahren machte er deshalb sein geliebtes Hobby zum Beruf. Doch bevor seine Karriere richtig in Fahrt kam, nahm zunächst sein Privatleben eine entscheidende Wendung.
Sag niemals nie
Bei der British Open in St. Andrews 1995 lernte Westwood nämlich durch seinen schottischen Tour-Kollegen Andrew Coltart dessen 21-jährige, jüngere Schwester Laurae kennen. Laurae, die seinerzeit als Kosmetikerin im dortigen Old Course Hotel arbeitete, hatte im Gegensatz zu ihrem Bruder überhaupt nichts für Golf übrig und sich sogar geschworen, niemals einen Golfspieler zu heiraten. Trotz dieser Kampfansage und obwohl Andrew meinte, die beiden kämen nur über seine Leiche zusammen, verlobten sich Lee Westwood und Laurae im Dezember 1995. Dieselbe Art von Humor wäre der Schlüssel zum Herzen gewesen, erinnerte sich Frau Westwood später. Und sie war es, die ihrem Lee schließlich ein intensives Fitnessprogramm verordnete und ihn zu sportlichen Höchstleistungen antrieb.
Im August 1996 platzte endlich der sprichwörtliche Knoten. Der Engländer durfte seinen ersten Profi-Sieg feiern und die Trophäe beim Volvo Scandinavian Masters entgegennehmen. Drei Monate später folgte in Japan bei der Sumitomo VISA Taiheiyo Masters der nächste Titel und auch im Jahr darauf sammelte er weitere Erfolge. Im März 1997 entschied er die Malaysian Open für sich, Anfang November die Volvo Masters Andalucía und eine Woche später verteidigte er seinen ‧japanischen Titel. Und zwischendrin gab es sogar noch die Chance für ein ganz besonderes Golferlebnis.
Ehrenvolle Ereignisse
Im September 1997 erreichte den Engländer zu seiner großen Freude ein Anruf des Captains des europäischen Ryder Cup Teams, Golflegende Severiano Ballesteros. Westwood sollte als Rookie am Kontinentalwettstreit im Valderama Golf Club teilnehmen. Der Debütant steuerte an der Seite von Nick Faldo hervorragende zwei Punkte zum Sieg der Europäer gegen die US-amerikanische Auswahl bei. Aber auch im normalen ‧Turnierbetrieb machte der Mann aus Worksop weiter von sich reden. Im Jahr 1998 gelangen ihm sieben Siege in Europa, Nordamerika und Asien, darunter der Dritte in Folge beim Sumitomo VISA Taiheiyo Masters, sowie der erste Gewinn auf der PGA Tour bei der Freeport-McDermott Classic. Damit spielte sich der 25-Jährige unter die Top Ten der Weltelite des Golfsports. Dass bei dem Reisepensum die Familienplanung auf der Strecke blieb, lag auf der Hand. Die ursprünglich für April 1997 geplante Hochzeit mit Laurae konnte so erst mit knapp zwei Jahren Verspätung gefeiert werden. Es folgte die bis dato erfolgreichste Saison für Westwood mit erneut sieben Triumphen und dem Gewinn der europäischen Geldrangliste. Nach der Geburt von Sohn Samuel Bevan 2001 widmete sich der frischgebackene Vater für eine Weile ganz seiner kleinen Familie, bevor er sich mit einer noch überzeugenderen Technik und weiterhin großen Ambitionen eindrucksvoll im Profigeschäft zurückmeldete.
Mit frischem Schwung
Auch im Team-Wettstreit gelangen ihm erneut Höchstleistungen. Beim Saisonhöhepunkt 2002 nämlich, dem Ryder Cup im Belfry in England, glänzte Westwood erneut mit drei Punkten und trug sich damit bereits zum zweiten Mal in die Siegerliste ein. Seinen 25. Einzeltitel feierte er im Jahr darauf in München bei der BMW International, wo er sich mit drei Schlägen vor Alex Cejka durchsetzte. 2004 erzielte Westwood mit einem geteilten vierten Rang bei der Open Championship sein bis dahin bestes Major-Ergebnis. Mit der Geburt von Tochter Poppy Grace im selben Jahr komplettierten die Westwoods ihr Familienglück, aber der vielbeschäftigte Anhänger des englischen Fußballclub Nottingham Forest benötigte danach drei Jahre, um wieder ein Turnier für sich zu entscheiden. Seit 2007 folgten siebzehn weitere Triumphe und in den Jahren 2010 und 2011 stand Westwood für insgesamt 22 Wochen sogar an der Spitze der Golfweltrangliste. Zudem verlieh ihm Königin Elisabeth II. den Titel „Officer of the Order of the British Empire“ (OBE). Während sportlich alles bestens lief, kam es im Privatleben hingegen zu einer Krise. Laurae und Lee Westwood trennten sich und ihre Ehe wurde 2015 geschieden. Danach sortierte er sein Leben neu, gab die gemeinsame Villa in Palm Beach Gardens in Florida auf und kehrte nach England zurück. Sein neuer, deutlich weniger glamouröser Wohnsitz befindet sich jetzt im beschaulichen Kleinstädtchen Jesmond im Nordosten der britischen Insel. Von hier stammt auch Helen Storey, Westwoods neue Partnerin und Mutter einer sechsjährigen Tochter. Das Fotomodell begleitete ihn in diesem Jahr auch zum Masters, wo sie Zeugin seiner bravourösen Leistung wurde.
Big Four
Lee Westwood wird in den Statistiken als einer derjenigen Top-Golfer geführt, die nie ein Major gewonnen haben. Bei 76 Auftritten lag er 18 Mal in den Top Ten, elfmal in den Top Five und 2010 griff er sogar gleich zweimal, in Augusta und bei der U.S. Open, nach den Sternen und dem ersten Major-Titel. Beide Male fuhr er aber als Zweiter nach Hause. Auch beim diesjährigen ersten Event der Big Four stand Westwood durch eine couragierte Vorstellung am Finaltag kurz vor dem größten Triumph seiner Karriere. Der mittlerweile 43-jährige benötigte aber zu seinem Leidwesen drei Schläge mehr als sein Landsmann Danny Willett, musste diesem schließlich den Triumph überlassen und sich den undankbaren zweiten Rang mit Jordan Spieth aus den USA teilen. Nichtsdestotrotz beeindruckt Westwood, der aktuell als Nummer 39 der Golfweltrangliste geführt wird, mit seiner momentanen Verfassung und ist in der Folge ein heißer Kandidat für den Ryder Cup. Über all die Jahre hinweg war es dieses Event, bei dem er sich immer wieder ganz besonders hervortat. Bei seinen neun Teilnahmen trug er zu sieben Siegen maßgeblich bei (1997, 2002, 2004, 2006, 2010, 2012 und 2014). Mit nunmehr 25 Punkten ist Westwood, der zur Entspannung vom Golf auch gerne mal eine Partie Snooker spielt, einer der erfolgreichsten Europäer bei dem legendären Wettstreit mit den US-Golfstars. Den europäischen Team Captain Darren Clarke kennt Westwood übrigens ziemlich gut – die beiden teilen sich sogar einen Privatjet. Da gibt es vielleicht noch mal die Gelegenheit, zu vertiefen, wie wichtig dem Engländer die Sache ist: „Ich sagte immer schon, dass der Ryder Cup keine Auseinandersetzung der European Tour gegen die PGA Tour ist, sondern Europas beste Golfer gegen die US-Amerikaner.“ Nun, bis zur Entscheidung, wer sich direkt für das Team qualifiziert und wer auf eine Wildcard hoffen muss, ist es noch ein bisschen hin und Westwood hat noch einige Möglichkeiten zu beweisen, dass er die richtige Wahl wäre. Vielleicht gelingt es ihm über kurz oder lang auch, sich den Traum vom Major-Sieg doch noch zu erfüllen – einer der besten europäischen Golfer ist Lee Westwood aber in jedem Falle.