Zeitloses Wunder
Der Golfsport folgte in den vergangenen Jahren verstärkt dem Motto ‧„jünger, schneller, weiter“, das Beispiel Bryson DeChambeau und sein enormer Zuwachs an Muskelmasse ist allseits präsent. Wie schön, dass es dennoch immer wieder „altgedienten“ Kämpen gelingt, den jungen Wilden, den Kampf um den Titel so schwer wie ‧möglich zu machen. Wie Lee Westwood: Seit 1993 Profi, erlebt er gerade ‧seinen dritten Frühling. Nicht weil er den jungen Topstars nach‧eifert, sondern weil sich der Engländer auf sein eigenes ‧Credo ‧fokussiert: Mit der Balance aus harter Arbeit und Freude am Spiel stellt der 48-Jährige unter Beweis, dass das Alter den ‧Erfolg im Golfsport nicht determiniert.
- 26. Mai 2021
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Der Januar 2020 bleibt Lee Westwood noch lange in Erinnerung – aus zwei ganz unterschiedlichen ‧Gründen. Einerseits gewann der Mann aus Worksop in Nottinghamshire die Abu Dhabi HSBC Championship und bejubelte bei dem Turnier der Rolex Series im vierten Jahrzehnt in Folge mindestens einen Coup auf der European Tour. Was für eine phänomenale Leistung! Andererseits entschied sich Westwood aufgrund des weltweit grassierenden Coronavirus, das in eben jenem Monat erstmals außerhalb Chinas nachgewiesen wurde, die Gesundheit über das Streben nach Reichtum zu stellen. Bei drei Wettkämpfen schlug er noch auf der PGA Tour ab, danach verkündete der Engländer aufgrund steigender Infektionszahlen, die großen Zahltage in der US-amerikanischen Profiliga auszulassen und sich stattdessen 2020 auf den Turnierkalender in Europa zu fokussieren. Eine Entscheidung, für die er sich nicht nur den Respekt seiner Kontrahenten sicherte, sondern die dem Endvierziger zu ‧einer neuerlichen Erfolgssträhne verhalf.
Zwar baute Westwood seinen Titelreigen in der Spielzeit nicht weiter aus, wie so oft in seiner bereits 28 Jahre andauernden Karriere bewies er aber enorme Konstanz. Sechs Top 20-Platzierungen in Folge untermauerten seine sehr gute Form, weshalb ihm beim Saisonfinale der 2. Platz beim DP World Tour Championship genügte, um den Titel im Race to Dubai zu gewinnen – zum dritten Mal nach 2000 und 2009. Westwood kürte sich damit zum ältesten Sieger dieser Saisonwertung. Doch damit nicht genug! Ob seiner Fabelleistungen zeichnete ihn die European Tour zum Golfer des Jahres 2020 aus!
Beeindruckende Bilanz
„Ich bin einfach total glücklich mit meinem Jahr. Ich stehe ‧jeden Tag auf und mache den Job, den ich liebe“, erklärte Westwood nach dem Saisonfinale in den Vereinigten ‧Arabischen Emiraten. „Ich wollte immer Golfer sein und ich will nicht, dass es aufhört“, fügte er hinzu und sprach damit sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft an. Erst im ‧Alter von 13 Jahren begann er mit dem Spiel mit der kleinen weißen Kugel – mit einem halben Set, welches er von seinen Großeltern geschenkt bekam. Sportinteressiert war das einzige Kind von John und Trish Westwood allerdings schon seit klein auf, spielte Fußball, Rugby und Cricket. Insbesondere der Wettbewerb mit anderen Sportlern faszinierte den ‧aufstrebenden Athleten, der nur zwei Jahre nach seinem Debüt am Schläger Juniorenmeister von Nottinghamshire und 1993 gar britischer Jugendmeister wurde. Seit seinem Wechsel zu den Profis feierte er Siege auf allen Kontinenten.
Neben seinen Erfolgen in Asien, Australien und Afrika nennt „Westy“ 25 Titel auf der European Tour sowie zwei weitere auf dem US-amerikanischen Ableger sein Eigen. Zudem beendete er in der Saison 2010, in der er zwei Silbertrophäen gewann sowie neun weitere Male in den Top Ten landete, die 281 ‧Wochen andauernde Regentschaft von US-Superstar Tiger Woods an der Spitze der Weltrangliste. Insgesamt gehörte er 350 Wochen zu den zehn besten Golfern des Universums! Eine beeindruckende Bilanz, die zum Revue passieren einlädt, doch auch 2021 scheint Westwood kein bisschen müde zu sein.
Im März überzeugte er mit zwei zweiten Plätzen auf der PGA Tour. Während er bei der Arnold Palmer Invitational knapp Bryson DeChambeau unterlag, kehrte er eine Woche später bei The Players Championship erneut nur einen Schlag hinter dem ebenfalls deutlich jüngeren Justin Thomas ins Clubhaus zurück. Für dieses Finish strich Westwood zudem mehr als 1,6 Millionen US-Dollar ein – den größten offiziellen Scheck seiner Karriere! „Ich bin nicht überrascht, denn ich ‧habe nichts von meiner Länge und von meinem ‧Enthusiasmus verloren – und ich liebe und genieße den Wettkampf noch immer.“
Geheimwaffe am Bag
Einen nicht unerheblichen Anteil an seiner bemerkenswerten Form, schreibt er dabei seiner Verlobten Helen Storey zu. Nach der Trennung von seiner Ehefrau Laurae Coltart im Jahr 2015 erlebte Westwood nämlich eine lange Durststrecke. Erst vier Jahre nach seinem letzten Titelgewinn reckte der zweifache ‧Familienvater im Herbst 2018 endlich wieder eine Silberschale gen Himmel. Bei der Nedbank Golf Challenge in Südafrika kürte er sich zum Champion und strafte seine Kritiker, denen er bereits zu alt erschien, um mit den Jungen mithalten zu ‧können, ab. Nur eine Woche zuvor hatte Westwood seinen Langzeit-Caddie Billy Foster durch seine neue Lebensgefährtin ersetzt und erhielt prompt die Quittung – allerdings im ‧positiven Sinne.
„Sie hat vielleicht nicht so viel Ahnung von Golf, aber sie weiß eine Menge darüber, wie ich ticke, hält mich mental gut im Rahmen und hilft mir, mich auf die richtigen Dinge zur ‧richtigen Zeit zu fokussieren“, skizzierte er die Rolle der ‧gelernten Fitnesstrainerin. „In meinem Stadium der Karriere gibt es nicht viel, was mir ein Caddie sagen kann, aber ‧offensichtlich bringt mich Helen da draußen in eine fantastische Stimmung, und psychologisch kann sie mir helfen und die Dinge sagen, die ich hören muss“, ergänzte Westwood bei der Players Championship 2021. Ganz offensichtlich scheint Helen Storey dem Briten sowohl privat als auch sportlich gut zu tun. Zwar musste das Paar die für 2020 geplante Hochzeit coronabedingt verschieben, doch der 1,83 Meter große ‧Sportler wirkt mit ihr an seiner Seite gelöster, lacht deutlich mehr auf den Kursen und genießt es ganz offensichtlich, auch die Arbeitszeit mit seiner Herzdame zu verbringen.
Mentale Stärke
Generell rückt für Lee Westwood mit fortschreitender Karriere die Psyche vermehrt in den Mittelpunkt. Ebenfalls positiv ‧wirkte sich jedenfalls das Training mit dem Mentalcoach und Ex-Profi-Snooker-Spieler Chris Henry aus. Zudem arbeitet er seit ein paar Jahren mit einem Psychologen zusammen. „Wir konzentrieren uns nur auf den Prozess, nicht auf die Ergebnisse und Dinge, die wir nicht kontrollieren können“, betonte er in einem Interview und fügte an, dass er seitdem wieder viel mehr Spaß am Golfen habe. Und genau das sieht man ihm an!
Offenbar bringt er sich mit diesem Credo in die richtige ‧Stimmung, um Bestleistungen abzurufen. Aufgrund seiner ‧guten Resultate beförderte sich Westwood jetzt – wieder einmal – in den Favoritenkreis für die Majors. Genau die sind der einzige Wermutstropfen in einer imponierenden Laufbahn, denn ein Titel bei einem der Big Four fehlt in seiner ‧Sammlung. Zudem öffnete sich für den Engländer die Tür zu seiner nächsten aktiven Teilnahme am Ryder Cup. Eigentlich spekulieren Medien und Experten angesichts seines Alters eher über die Kapitänsrolle, und Westwood wollte auch ‧ursprünglich an der Seite von Teamleader Pádraig Harrington als dessen Vertreter agieren. Doch dank seiner bislang gesammelten Punkte in der Weltrangliste rückt für den zweifachen Familienvater die Qualifikation in Reichweite.
Er belegt derzeit einen der neun sicheren Plätze und müsste für die 43. Auflage des Interkontinentalwettbewerbs im Golfclub Whistling Straits in Haven im US-Bundesstaat Wisconsin nicht einmal auf einen der drei Captain’s Pick hoffen. Als einer der besten Ryder Cup-Spieler Europas, was seine sieben Siege bei zehn Teilnahmen eindrucksvoll widerspiegeln, ergäbe sich für ihn gar die Chance, den Rekord von Sir Nick Faldo einzu‧stellen. Sein Landsmann schlug elf Mal beim Interkontinentalwettbewerb gegen die USA ab und ist damit der Spieler auf ‧europäischer Seite mit den meisten Teilnahmen. „Ich würde natürlich gerne wieder aktiv dabei sein“, erklärte Westwood, der zuletzt 2016 Europas Farben vertrat und 2018 einer der ‧Vizekapitäne von Thomas Bjørn war. Zum Saisonziel wollte der sympathische Athlet seinen Auftritt bei dem Event ‧allerdings nicht ausrufen.
Inspiriert durch Bernhard Langer
Auf Sicht zu fahren und von Turnier zu Turnier zu denken, hat sich für den 20. der Weltrangliste bewährt. Während andere in den Lockdowns und Saisonunterbrechungen 2020 einen Nachteil für ihren Spielrhythmus sahen, hob Westwood das Positive in den Vordergrund. Die Zeit ohne Events diente dem großen Sportfanatiker zur Zerstreuung – er genoss es einfach, mal nicht an das Spiel mit der kleinen weißen Kugel zu denken. Dennoch nutzte er die Ruhephase, um sich fit zu halten. Dass das fortschreitende Alter gegen ihn sprechen könnte, kam ihm dabei gar nicht in den Sinn. „Ich sehe keinen Grund, warum ich nicht bis in meine Fünfziger hinein richtig gut spielen kann. Ich fühle mich nicht wie ein 48-Jähriger, ich fühle mich wie ein 25-Jähriger“, erklärte er mit einem Lächeln. Eine Inspiration für alle sollte dahingehend der Deutsche Bernhard Langer sein. „Er behält seine Frische und seinen Enthusiasmus und beweist, dass man in jedem Alter Golf spielen kann.“ Genau diesen Weg will Westwood ebenso weiterverfolgen – und am Ende des ‧Tages käme es einfach nur darauf an, das Spiel zu lieben!