
Paul Casey (Foto: Ezra Shaw/Getty Images)
Paul Casey (Foto: Ezra Shaw/Getty Images)
Ab September 2014 begann für den bis dahin erfolgsverwöhnten Paul Casey eine eher durchwachsene Phase. Seit seinem Wechsel zu den Profis zur Jahr – tausendwende bejubelte der Mann aus Cheltenham in Südengland nahezu jedes Jahr einen Titel. Nach seinem Gewinn der KLM Open, dem 16. Turniersieg seiner Karriere, gab es ganze vier Jahre lang keinen weiteren Coup zu vermelden. 2015 verpasste er gleich zweimal Platz 1, als er bei der Northern Trust Open sowie dem Travelers Championship auf der PGA Tour im Play-off scheiterte. In der Folge gelangen ihm zwar einige Top-Ten-Ergebnisse und auch in der Weltrangliste verlor er nie den Anschluss an die Top 30, aber für ganz nach oben – und rein ins Rampenlicht – reichte es nicht.
Doch der mit 1,78 Metern eher kleine Athlet glaubte stets an sich und seine Fähigkeiten. Während andere längst ihren Trainer gewechselt hätten, blieb er seinem Team treu und vertraut seit 2000 ununterbrochen auf den US-amerikanischen Golfanalytiker und -lehrer Peter Kostis. Mit Erfolg, denn 2018 wendete sich das Blatt zu seinen Gunsten. Nach einem spannenden Finish entschied er überraschend die Valspar Championship für sich. Am Schlusstag setzte er sich mit einem Schlag Vorsprung gegen den späteren Masters-Champion Patrick Reed aus den USA sowie dessen Landsmann Tiger Woods durch. Was für ein Comeback! Davon bekam auch Thomas Bjørn, Ryder Cup- Kapitän des vergangenen Jahres, Wind. Der Däne entschied sich, auf Caseys jahrelange Erfahrung zu setzen, ihn mittels eines Captain’s Pick ins Team zurückzuholen und lag mit diesem Schachzug goldrichtig. Der Genussmensch, der gern mit seiner eigenen Kaffeemaschine verreist, nahm zuletzt 2008 am Interkontinentalwettbewerb teil, in Frankreich ließ er aber keinen Zweifel an seiner Nominierung aufkommen. Mit dem Siegpunkt beim Fourball an der Seite von Tyrrell Hatton gegen Dustin Johnson und Rickie Fowler sowie mit seinem geteilten Einzelmatch gegen den amtierenden U.S. Open- und PGA Championship-Gewinner Brooks Koepka trug er entscheidenden Anteil am 17,5:11,5-Erfolg Europas gegen die USA.
Casey selbst erklärte sein fantastisches Comeback so: „Der Sieg bei der Valspar Championship hat mich wieder in die geistige und seelische Verfassung gebracht, die ich vor vielen Jahren während meiner Laufbahn oft gespürt habe. Zu wissen, dass man konstant zum Kreis der Champions gehören kann, setzt Kräfte frei. Ich glaube, ich hatte schlicht und einfach vergessen, wie es ist zu gewinnen. Nun wurde dieses Siegel irgendwie wieder geöffnet.“ Ganz offensichtlich! Die geglückte Titelverteidigung bei der Valspar Championship ist der Beweis. Nie zuvor war dies einem Professional gelungen. Auf dem Copperhead Course im Innisbrook Resort und Golf Club in Palm Harbor, der zu den schwierigsten Plätzen der PGA Tour zählt, profitierte Casey von seiner mentalen und spielerischen Stärke. In der Finalrunde hielt „Popeye“, wie er von vielen aufgrund seiner muskulösen Oberarme genannt wird, trotz einer Runde über Par alle Verfolger auf Abstand. Während der vier Tage dominierte er insbesondere an den Par 5-Löchern, von denen er in insgesamt 16 Versuchen 14 mit einem Birdie oder besser abschloss. „Ich denke, der Unterschied liegt in meiner Einstellung. Denn ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass ich anders golfe als vor einem oder zwei Jahren. Ich werde älter, aber ich fühle mich, als würde es mir besser gehen“, resümierte der erstklassige Eisen-Spieler nach seinem 250. Turnier.
Einen konkreten Tiefpunkt für die lange Durststrecke zwischen seinem ersten Coup, der Shell Houston Open 2009, und dem Gewinn der Valspar Championship 2018 kann Casey jedoch nicht ausmachen. „Es ist so viel passiert in den neun Jahren zwischen Houston und Palm Harbor. Ich musste so viel durchmachen – von Verletzungen bis hin zur Scheidung“, erklärte er hinsichtlich der kurzen Ehe mit Jocelyn Hefner von 2008 bis 2010. „Aber in den vergangenen fünf, sechs Jahren war ich stets zufrieden. Mein Leben ist wundervoll mit meiner Familie, meiner Frau und meinen Kindern.“ Mit seiner zweiten Gattin Pollyanna Woodward sowie den beiden Kindern Lex Samuel und Astaria Noelle sei er endlich angekommen – auch in seiner neuen Heimat Arizona. Natürlich hätte er gern mehr Siege gefeiert, aber es habe ebenso an anderen Orten auf der Welt große Erfolge gegeben, relativierte der leidenschaftliche Sportschuh- und Uhren-Sammler seine Bilanz. Damit sprach Casey unter anderem sein Engagement als UNICEF-Botschafter an. Seit 2017 spendet er für jedes seiner Birdies 100 US-Dollar an das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen. Seine Kinder hätten ihm dahingehend die Augen geöffnet und deutlich gemacht, dass er etwas von seinem Glück abgeben könne, um anderen ein besseres Leben zu ermöglichen.
Diese Dankbarkeit rührt aus der eigenen Kindheit. Seine Eltern unterstützten ihren Sohn nach Leibeskräften und hatten wesentlichen Anteil daran, dass ihr Sprössling bereits mit elf Jahren ein Golf-Stipendium erhielt. Einige Jahre später machte er sein Abitur, um danach seine Studienförderung mit an die Arizona State University in die USA zu nehmen. Nach einer erfolgreichen Amateurkarriere erspielte er sich 2001 das Ticket für die European Tour, vier Jahre danach die Spielberechtigung für die PGA Tour. Trotz seiner insgesamt 19 Profi-Siege eilt ihm der Ruf voraus, dass das letzte Quäntchen fehlt, um wirklich einer der Top-Stars zu sein. Eigentlich eine ungerechtfertigte Einschätzung, verdiente Casey in seiner bisherigen Laufbahn mit mehr als 28,5 Millionen US-Dollar an Preisgeld doch genug für mehrere Leben und zählte immer zu den Konstantesten. Aber im Leistungssport zählen eben Titel, bestenfalls bei Großereignissen. Derzeit handeln Experten die einstige Nummer 3 der Welt dank seiner überzeugenden Verfassung wieder als Anwärter auf einen Major-Triumph. Vielleicht kann er sich diesen Traum erfüllen und seine Kritiker Lügen strafen. Der Unterstützung seines Caddies John McLaren kann er sich jedenfalls sicher sein. Bei der Valspar Championship prangte auf der Jacke des Taschenträgers nämlich statt des Namens als Ansporn „The Champ“. Scheint gewirkt zu haben – und wer weiß, vielleicht gelingt Casey ja mit über 40 noch ein Big Point. Die Form dafür hat er, den Ehrgeiz und das Durchhaltevermögen auch – das hat er in den vergangenen fast zwei Jahrzehnten eindrucksvoll bewiesen.